Schließen Sie die Augen.
Sie sind ein mobilisierter russischer Soldat. Solange Sie zurückdenken können, hat Ihr Staat Sie wie Scheiße behandelt, die man jederzeit im Klo runterspülen kann.
Seit einem Jahr sitzen Sie in irgendeinem Zadupivka und verteidigen einen besetzten Schlammhaufen und einen von Artillerie umgepflügten Wald. Sie sehen mit eigenen Augen, wovon Ihnen die Alkodile aus der Nachbarschaft erzählt haben, die von Afghanistan und Tschetschenien vernichtet wurden. Sie beten für einen schnellen Tod, denn Sie wollen nicht auf derselben Bank sitzen und den Jugendlichen von der Ukraine erzählen.
Es mangelt an Lebensmitteln. Es mangelt an Munition. Die medizinische Versorgung ist fast nicht vorhanden. Man stirbt. Wenn einem gesagt wird, man solle rennen, rennt man durch Felder voller verrottender Leichen derer, die vorher gerannt sind. Oder die Verwundeten, die seit zwei Tagen niemand mehr aus dem Schlamm geholt hat.
Keiner von Ihnen weiß, warum Sie überhaupt hier sind. Wenn ihr es wüsstet, wärt ihr schon lange von hier weggelaufen, aber hinten stehen die Terroristen von Wagner und Kadyrow, die die Deserteure einfach foltern und ermorden.
Die Wagneristen sind diejenigen, die Sie am meisten fürchten, weil Sie wissen, was sie mit den Menschen machen. Ihren eigenen wie auch denen dort. Aber eines gestehen Sie ihnen zu. Sie sind effektiv. Sie sind die einzigen, die eine gewisse Disziplin wahren, sie ähneln einer echten Armee.
Deshalb verspüren Sie eine gewisse Aufregung, wenn ihr Chef sagt «genug». Der Typ ist ein Mörder und der Anführer einer terroristischen Vereinigung, aber er verspricht, für Ordnung zu sorgen und redet viel von Patriotismus. Dass sie stehlen. Dass die Armee einem Feuer im Puff gleicht. Dass dieser Krieg keinen Sinn macht. Dass ihr ihn verlieren werdet. Er nennt euch «Jungs» und sagt, dass das korrupte Kommando euch wie Scheiße behandelt.
Und dass er das beenden wird. Ihr habt die Wahl: Entweder ihr macht mit, oder ihr verreckt im Schlamm. Ihr macht mit.
Der Karneval beginnt. Die Jungs besetzen eine Stadt, eine andere, eine dritte. Die Leute grüßen Sie auf der Straße, klatschen Ihnen zu, gratulieren Ihnen. Sie reden viel über Veränderung, Patriotismus, Revolution, Respekt.
Ihr rennt nach Moskau und die Behörden machen sich vor Angst in die Hosen. Gegenüber Ihrer Kolonne rollen Bagger und Sandkipper aus. Die Armee verhält sich passiv oder schließt sich an. Die Geheimdienste verschwinden in einer Rauchwolke.
Suka blad›, denken Sie mit Tränen in den Augen, schließlich ist dieses Land weg. Diese Scheiße ist endlich vorbei. Es löst sich auf wie ein böser Traum.
Sie haben gewonnen.
Zum ersten Mal in Ihrem Leben haben Sie das Gefühl, dass Sie eine Zukunft haben. Dass Sie im Begriff sind, das Karussell zu stoppen, das das russische Volk seit Generationen in eine unförmige Masse verwandelt hat, ein Amalgam aus Gewalt, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Sie nähern sich Moskau. Mit Ihren Augen sehen Sie die Dächer des Kremls, dieses russische Barad-Dur. Es ist wirklich passiert.
Oder auch nicht…
Du stehst auf. Es gibt einige Gespräche. Frieden, sagen sie. Einigung. Plötzlich steigt der Häuptling in eine Karre und fährt einfach weg, und ihr steht da wie Schafe auf dem Feld. Es wird der Befehl gegeben, zurück zu gehen, also gehen Sie zurück.
Unterwegs stellt man fest, dass es keine Revolution gab, sondern nur einen Kampf um Einfluss. Der Typ war nicht Spartakus, sondern ein Oligarchen-Mörder, der um sein eigenes Leben kämpfte. Der Aufstand brach nicht aus, weil es an der Front eine schwierige Situation gab, sondern weil der Häuptling kurz davor war, erschossen zu werden, so dass er präventiv eine Affäre anzettelte, um sich zu retten.
Und dass er sich gerettet hat. Und sich ins Ausland verpisst hat und dich der Gnade oder Ungnade des rachedurstigen Zaren überlassen hat.
Und es wird leise gesagt, dass es übrigens nur eine Fraktion von Bojaren war, die sich aneinander verbissen hat und ein paar Umschichtungen in ein paar Ministerien vornehmen wollte. Dazu brauchte es Idioten, die glauben, dass eine Revolution im Gange ist.
Idioten wie Sie.
Ihr wisst nicht, wer eigentlich gewonnen hat. Ihr, weil irgendein Schojgu seinen Posten verlieren wird und der Zar lächerlich gemacht wurde? Oder doch sie, weil ihr es seid, die zurückweichen?
Und gibt es noch ein ‹ihr›?
Sie werden zurück an die Front geschickt. Sie wehren sich nicht, Sie sind eine formlose Masse.
Das Karussell dreht sich weiter.
Quelle: Doniesienia z putinowskiej Polski (Berichte aus dem putinisierten Polen)